PROFI Werkstatt: Herr Hiermaier, Ernst Prost wird bei seinem Abschied im Februar 2022 mehr als 30 Jahre Ihr Weggefährte bei Liqui Moly gewesen sein und Ihr neuer Vertriebsleiter ist auch schon 18 Jahre dabei. Kurzfristiges Denken ist bei Liqui Moly nicht unbedingt Teil der Unternehmenskultur, oder?
Wir denken immer strategisch, alles andere wäre ja mindestens fahrlässig. Wir können aber aufgrund unseres Aufbaues und unserer Größe spontan und kurzfristig handeln. Es war immer diese Kombination aus Strategie und Wandlungsfähigkeit bzw. Agilität, die uns so erfolgreich macht. Unsere Kultur hat im Zentrum die Verantwortung für unsere Mitunternehmer, Kunden und Partner. Wir sind eine große Familie, die aus Kundensicht denkt und handelt. Wir sind stolz auf das, was wir gemeinsam erreicht haben und haben einen gewissen Liqui Moly-Korpsgeist. Dieser ist es auch, der uns zusammenhält und Menschen über Jahrzehnte im Unternehmen verwurzelt. Ältere geben den Geist an die junge Generation weiter. Strategisch gesehen tun wir alles, um dieser selbstgesteckten Verantwortung nachzukommen. Dazu zählt nachhaltiges und solides Wirtschaften, Forschung und Investitionen für und in die Zukunft und wenn es darauf ankommt schnelles und entschiedenes Handeln – so wie in der gegenwärtigen Krise.
Sie teilen sich die Geschäftsführung seit Mai 2018 mit Ernst Prost, da hat man sich die Aufgaben sicherlich abgesteckt. Was kommt als alleiniger Geschäftsführer jetzt neu dazu?
Amüsant, dass Sie das fragen. Interviews sind zum Beispiel neu für mich. Bis jetzt hat Ernst Prost die Rolle in der Öffentlichkeit übernommen. Diese Interviewsituation ist noch etwas ungewohnt für mich – macht aber Freude. Neu ist aber vor allem, dass ich nun alleinverantwortlich für die Gesamtgeschicke bin. Da kann ich nicht mal schnell anrufen oder anklopfen und fragen: „Ernst, wie machen wir das jetzt?“. Das wird in der ersten Zeit wahrscheinlich ungewohnt sein. Meine Vertriebsleiterfunktion habe ich schon abgegeben, um mich voll auf die Aufgaben als Geschäftsführer konzentrieren zu können. Als Geschäftsführer ist man ja nicht bloß Chef, sondern Stratege, Moderator, Berater, Verhandler und Netzwerker. Dafür brauche ich Freiraum und musste etwas vom täglichen operativen Geschäft loslassen und auf meine starke Mannschaft vertrauen.
Ernst Prost wird in der Wirtschaftswoche mit dem Satz zitiert, er liebe seinen Sohn zu sehr, um ihn als seinen Nachfolger in diese Mühle zu zwingen. Ist das Geschäft so hart?
Ich kann natürlich nicht für Ernst Prost sprechen. Diesen zitierten Satz habe ich etwas anders verstanden. Unser Geschäft ist hart, keine Frage. Dennoch hat seine Aussage per se nichts mit unserem Geschäft zu tun. Jede Branche hat Höhen, Tiefen und Herausforderungen. Da unterscheidet sich unsere Branche nicht von anderen. Es geht glaube ich darum, dass Ernst Prost die Entscheidung und die persönlichen Wünsche seines Sohnes akzeptiert und ihm nicht mit der Bürde eines Unternehmens ausstatten möchte, die dem persönlichen Lebensweg seines Sohnes entgegensteht. Und das ist väterliche Liebe. Jeder Mensch ist anders und jeder sollte frei darüber entscheiden, welchen Weg er geht.
Die Würth-Gruppe ist bereits seit Ende 2017 alleiniger Inhaber des Unternehmens. Wie viel Würth steckt in Liqui Moly?
Würth ist unser Mutterkonzern. Die Werte des Konzerns entsprechen den unseren. Das war der Hauptgrund für den Verkauf an Würth. Liqui Moly sollte nicht unseren Konkurrenten in die Hände fallen und zerschlagen werden, falls Ernst Prost einmal etwas zustoßen sollte. Da hatte noch niemand darüber nachgedacht, dass Ernst Prost in den Ruhestand gehen würde. Bei Würth mit seiner Stiftungsstruktur und einem Inhaber an der Spitze des Unternehmens sind wir sehr gut aufgehoben. Liqui Moly ist und bleibt eine eigenständige Marke und GmbH. Wir entscheiden autark über unser Handeln.
Wie verteilen sich derzeit die Umsatzanteile zwischen den Motor- und Getriebeölen bzw. Kraftstoff- und Öladditiven auf der einen Seite und den Pflege- und Servicemitteln auf der anderen Seite?
Wir sind ein Motoröl- und Additivproduzent. Im Pkw-Markt machen wir damit einen Großteil unseres Umsatzes. Unsere Pflegeserie und Serviceprodukte übernehmen immer größere Anteile in den letzten Jahren, weil wir diese zusätzlich forcieren.
Mit dem Aufkommen der Elektromobilität verändert sich vermutlich auch Ihr Geschäft. Braucht man künftig noch Motor- und Getriebeöle?
Weltweit stehen bisher knapp 11 Mio. Fahrzeuge mit E-Motor mehr als eine Milliarde Pkw mit reinem Verbrennungsmotor gegenüber. Da sind Nutzfahrzeuge, Motorräder oder auch der maritime Sektor noch gar nicht eingerechnet. Industrie, Luftfahrt und der Agrarsektor werden wahrscheinlich nie ohne Motoröle auskommen. Daneben gibt es aufstrebende Länder, die weiter weg sind von der Elektromobilität als zum Beispiel Europa.
Wie bereiten Sie sich auf die Zeit nach dem Verbrennungsmotor vor?
Unsere Produktpalette ist riesig. Wir setzten auf Diversifikation und Internationalisierung. Dadurch sind wir generell gut aufgestellt. Im Automotivebereich bilden wir das komplette Produktspektrum ab, neben Ölen sind das Wartung, Service und Pflege. Diese sind antriebsunabhängig. Das heißt, wir bieten für Hybride und E-Fahrzeuge heute schon alles, was sie benötigen. Für uns ist da weiterhin Potenzial. Zudem sind wir in der Entwicklung spezifischer E-Fahrzeugprodukte aktiv, die wir bald auf den Markt bringen werden. Die Zeit des Wandels in der Mobilität vor allem in den Industrieländern werden wir intensiv nutzen, um uns auch im reinen E-Segment als bedeutender Player aufzustellen. Natürlich erschließen wir weiterhin Zielgruppen und Absatzmärkte neben dem direkten Automotivemarkt. Darunter fällt die Industrie mit ihren Zulieferern, die nach wie vor Schmierstoffe benötigen.
Welche spezifischen E-Fahrzeugprodukte sind das?
Unter anderem arbeiten wir an einer speziellen Batteriekühlflüssigkeit, die bisher keiner unserer Konkurrenten anbietet. Einzelheiten kann ich noch nicht verraten.
Was raten sie den Nutzfahrzeugwerkstätten, in dieser Zeit des Umbruchs?
Im Bereiche der Nutzfahrzeuge sind wir noch weiter weg von der Elektrifizierung, zumindest, wenn wir den Schwerlastverkehr, den Baumaschinen- oder Agrarsektor betrachten. Im Bereich der kleineren Nutzfahrzeuge gibt es ja bereits viele E-Mobile, wenn ich an lokale Lieferdienste oder kommunale Fahrzeuge im Bereich der Bauhöfe und/oder Landschaftspflege denke. Generell sollten Werksstätten frühzeitig ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Anforderungen der neuen Fahrzeuge schulen und sich dem Wandel offen zeigen, so wie beispielsweise wir es auch tun. Die großen Hersteller entwickeln ja bereits alternative Antriebkonzepte, die schon bald auf den Markt kommen könnten.
Welche Chancen ergeben sich aus der Digitalisierung für Liqui Moly?
Als internationaler Akteur – wir liefern in 150 Länder – macht die Digitalisierung unsere Arbeit schneller und effizienter. Nur ein Beispiel: Wir können simultan an Projekten/Prozessen arbeiten, obwohl unsere Mitunternehmer in unterschiedlichen Kontinenten leben. Das ist doch toll. Ebenso können unsere Partner digital auf unsere Plattformen zugreifen und Informationen einholen. Dass alle unsere Vorgänge immer und überall für uns transparent digital verfügbar sind, von der Warenbestellung, über Anlieferung, Produktion und Export ist unglaublich wertvoll. Auch im Sinne der Kundenzufriedenheit, weil wir schnell und flexibel Auskünfte geben können.
Wo sehen sie Liqui Moly in weiteren 30 Jahren?
Wir haben eine starke Marke, eine starke Mannschaft, eine breite Produkt- und Servicepalette sowie etliche Jahrzehnte Erfahrung auf dem Buckel. All das wird uns helfen, international weiter zu wachsen und uns weltweit als Marke zu etablieren, die mit ihren 4.000 Artikeln Synonym für alles rund um die Mobilität steht.
Die Fragen stellte Tobias Schweikl, Chefredakteur PROFI Werkstatt
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