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„Lastenräder ersetzen zwei Drittel der städtischen Pkw- oder Transporterfahrten“

Johannes Reichel ist Leiter Test + Technik bei unserer Schwesternzeitschrift LOGISTRA und der deutsche Jury-Vertreter des Transporter-Preises International Van of the Year. Der Mobilitätsexperte bringt nun die Lastenrad-Auszeichnung "International Cargobike of the Year" auf den Weg.

Johannes Reichel, Leiter Test + Technik bei LOGISTRA und Initiator des International Cargobike of the Year Awards, engagiert sich stark beim Thema Citylogistik der Zukunft. Hier bei einer Moderation beim Forum Grüne Logistik des Naturkosthändlers Bodan. | Bild: Petra Lohmer
Johannes Reichel, Leiter Test + Technik bei LOGISTRA und Initiator des International Cargobike of the Year Awards, engagiert sich stark beim Thema Citylogistik der Zukunft. Hier bei einer Moderation beim Forum Grüne Logistik des Naturkosthändlers Bodan. | Bild: Petra Lohmer
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Redaktion (allg.)
von Tobias Schweikl, LOGISTRA

LOGISTRA: Was ist der International Cargobike of the Year Award?

Johannes Reichel: In Anlehnung an den renommierten International Van of the Year Award haben wir einen Preis kreiert, der die Innovationen und Anstrengungen der Cargobike-Branche um professionelle Lösungen honorieren soll.

 

Wer kann mitmachen?

Zur Premiere nutzen wir die europaweit wahrscheinlich größte Plattform, die es für die immer größer werdende Cargobike-Szene derzeit gibt: Das International Cargo Bike Festival, das jetzt in der „Cycling City“ Groningen in den Niederlanden stattfindet. Es wird bereits seit 2012 veranstaltet und hat sich etabliert, sowohl als Schau für Neuheiten und Produkte als auch als Diskussionsforum für Praktiker und Politiker. Mitmachen kann jeder Hersteller, der auf dem Festival präsent ist und sich dem Test-Prozedere unserer Jury aus Cargobike-Praktikern stellt.

 

Was erhoffen Sie sich von der Auszeichnung?

Wie auch beim IVOTY wollen wir damit die Entwicklung pushen, Akzente setzen und eine noch junge Branche unterstützen, ihr eine Bühne bieten.

Werden Lastenräder nicht auch in Zukunft eine Nische bleiben?

Das glaube ich nicht und die rasanten Zuwachszahlen beweisen das bereits: 80 Prozent Marktwachstum laut ZIV im Jahr 2018, in Deutschland werden mehr eCargobikes verkauft als Elektroautos, 39.200 zu 36.062. Nach meinem Dafürhalten sind die Potenziale des Transportmittels Cargobike noch nicht annähernd und bestenfalls in Ansätzen erschlossen. Der skalierbare Einsatz, wie ihn jetzt einige KEP-Dienstleister versuchen, wird in einem Umfeld, das dringend nachhaltige Lieferlösungen braucht, einen großen Schub bringen. Dafür braucht es aber vor allem: verlässliche und standardisierbare Technik, einen Service, wie ihn Fuhrparkbetreiber aus dem Transporter- und Lkw-Bereich gewohnt sind. Essenziell ist auch die Einbindung in veränderte Abläufe, etwa in Kombination mit Mikro-Hubs. Und nicht zuletzt die infrastrukturelle Berücksichtigung des Transportmittels durch die Politik und die Kommunen, sprich etwa breitere Radwege oder Nutzung der Straße, Abstellmöglichkeiten. Ohne ein angepasstes Umfeld und eine stringente Supply Chain, in der Lastenräder die letzte Meile bedienen, macht der Einsatz wenig Sinn und wird isoliert bleiben.

Was leisten Lastenräder heute bereits?

Die Experten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR haben in ihrem großen Praxistest in gewerblichen Fuhrparks untersucht, was insbesondere elektrisch unterstützte Lastenräder - um die geht es hier primär - schon in aktuellen Fuhrparks leisten können. Ihr Ergebnis ist eindeutig: Lastenräder ersetzen zwei Drittel der städtischen Pkw- oder Transporterfahrten. Die Hälfte der am Projekt teilnehmenden Firmen würden sofort ein Lastenrad in den Fuhrpark mit aufnehmen. Diverse Studien gehen davon aus, dass sich in der Logistik ein Viertel der Transporter substituieren ließen. Wir müssen weg von der autozentrierten Sichtweise und von alten Gewohnheiten. Sie bringen uns nicht weiter: Beim Klimaschutz nicht, bei der Luftreinhaltung ebenso wenig wie beim Thema, wie wir die Städte lebenswerter machen und dennoch die Versorgungsqualität aufrechterhalten können, zumal in immer weiterwachsenden Ballungsräumen. Das Cargobike ist der „Game Changer“ schlechthin in der urbanen Logistik, das prognostizierte schon der Grazer Lastenrad-Pionier und Verkehrswissenschaftler Karl Reiter und das weist zuletzt auch der Nürnberger Logistikwissenschaftler Ralf Bogdanski in seinem Fachbuch nach.

Und wo liegen die Grenzen des Lastenrads?

Klar ist: Die Technik muss auf automobilen Standard gebracht werden, da hapert es noch gewaltig, wenn man mit Praktikern spricht. Und wenn es darum geht, große Mengen und Tonnagen etwa aus Umlanddepots in die kleineren dezentralen City-Hubs zu bringen, da werden Lkw und Transporter immer den Job machen müssen. Da sind sie aber auch die effizienteste, letztlich auch umweltfreundlichste Wahl, zumal wenn man hier noch stärker elektrifiziert oder auf Erdgasantrieb setzt. Es geht hier nicht um das Ausspielen, sondern um die richtige, die clevere Kombination der Verkehrsmittel. Es ist doch bezeichnend, dass auch große OEMs wie Ford oder VW sich intensiv mit diesem Transportmittel befassen.

Die Zeiten des Universalverkehrsmittels Transporter sind vorbei, mit diesem Modell stoßen wir an Grenzen, die wir täglich in zweiter Reihe parkend aufgezeigt bekommen. Und nur am Rande: Die Logistiker finden schon heute kaum noch für Lkw qualifizierten Fahrernachwuchs. Auch hier hilft das Cargobike aus der Klemme: Man braucht weniger Fahrzeuge und mit den Bikes erschließt man ein viel breiteres Fahrerklientel, etwa aus dem studentischen Milieu. Für die KEP-Logistiker könnten sich nebenbei auch Kostenvorteile ergeben.

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