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KIT-Forscher: Reifenabrieb bei E-Fahrzeugen ist große Herausforderung

Durch das Abrollen der Reifen auf der Fahrbahn gelangen jährlich große Mengen an Mikroplastik in die Umwelt, die durch die neue Euro-7-Norm begrenzt werden sollen. Besonders stark beanspruchen Fahrzeuge mit hohem Gewicht wie Elektroautos das Gummimaterial. Im Projekt Ramus des BMDV wird das Abriebverhalten bei batterieelektrischen Fahrzeugen erforscht.  

Gummiabrieb bei typischer Reifenverschleißrate (30 Gramm pro 100 Kilometer) - im Projekt Ramus untersuchen Forscher die Entstehungsfaktoren und Einflussgrößen. | Bild: Dr. Martin Gießler, KIT.
Gummiabrieb bei typischer Reifenverschleißrate (30 Gramm pro 100 Kilometer) - im Projekt Ramus untersuchen Forscher die Entstehungsfaktoren und Einflussgrößen. | Bild: Dr. Martin Gießler, KIT.
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Reifen werden durch den Straßenkontakt je nach Fahrweise und Fahrstil mehr oder weniger stark beansprucht. Der Verschleiß des Materials ist durch den Gebrauch unvermeidbar, allerdings ist die Wirkung auf Mensch und Umwelt eher unerwünscht: schließlich soll der zum Mikroplastik zählende Abfall, der beim Abrollen der Reifen entsteht, unbemerkt eine ganze Reihe an Krankheiten verursachen. Und alleine in Deutschland hat der Reifenverschleiß jährlich mindestens 100.000 Tonnen an Reifenabrieb zur Folge.

Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls das deutsche Umweltbundesamt (UBA), das das Bundesumweltministerium (BMUV; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz) in seiner Arbeit unterstützen soll. Wie das renommierte Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nun berichtet, tragen Fahrzeuge mit Elektroantrieb durch ihr höheres Gewicht im Vergleich zu ihren Pendants mit Verbrennungsmotor oft noch mehr zu dem gesundheitsschädlichen Plastikabfall bei. In einer Zeit, in der für eine klimaneutrale Mobilität stark auf elektrifizierten Lieferverkehr gesetzt wird, bleibt der hohe Reifenabrieb also eine besondere Herausforderung für die Ingenieure.

Zusammen mit dem Fraunhofer ITWM (Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik) untersucht die als technische Universität des Landes Baden-Württemberg zugleich als nationales Forschungszentrum genutzte Karlsruher Forschungsuniversität der Helmholtz-Gemeinschaft die Einflussfaktoren des Reifenabriebs bei elektrifizierten Fahrzeugen. Im Rahmen des Projekts Ramus (für Reifenabriebsmessung und Simulation) untersuchen die beiden Teams die Reifen in bestimmten Betriebszyklen an einem Prüfstand. Aus den Messergebnissen wird dann ein „reales Nutzungsverhalten in geraffter Form“ erstellt, um daraus ein Prognosemodell für Reifenabrieb zu gewinnen.

Mehr Gewicht, mehr Abrieb

Besonders viele Reifenpartikel lösen sich aus dem in der Regel unter anderem aus Kautschuk, Stahldraht, Kunstfasern sowie verschiedenen Zusätzen wie Ölen, Ruß, Chemikalien und Silica zusammengesetzten Konglomerat, wenn Elektrofahrzeuge zur Hochform auflaufen. Denn die weithin geschätzten schnellen Starts beziehungsweise „hohen Anfahrmomente“, die die Technologie erlaubt, in Kombination mit dem hohen Batteriegewicht ließen im Vergleich zu den konventionell angetriebenen Fahrzeugen „grundsätzlich“ die Freisetzung höherer Mengen an Reifenpartikeln erwarten, heißt es in dem Bericht.

Neues Forschungsgebiet

Die aus dem Gummi gelösten Partikel geraten dann als Mikroplastik in die Atmosphäre und lassen sich in der Luft als Feinstaub, in Gewässern als Sediment und in den Böden als Verunreinigungen nachweisen. Bisher habe man in Hinsicht auf schädliche Substanzen in der Luft in erster Linie Verschmutzungsquellen wie Abgase in den Blick genommen, sagt Dr. Martin Gießler vom Institut für Fahrzeugsystemtechnik (FAST) am KIT als Leiter der Arbeitsgruppe „Reifen-Rad-Fahrbahn“. Doch wie diese Verunreinigungen genau entstehen sei bisher noch kaum erforscht.

Wichtig für neue EU-Regelung

Wegen der Schädlichkeit der Partikelemissionen für Umwelt und Gesundheit sind mit Einführung der Euro-7-Norm erstmals auch Grenzwerte für den Reifenabrieb vorgesehen. Die Regelung setzt neuen Reifentypen bestimmte Grenzwerte und gilt ab 1. Juli 2028 für Pkw, ab 1. April 2030 für leichte Nutzfahrzeuge und ab 1. April 2032 für schwere Nutzfahrzeuge und Busse. Um diese Beschränkungen überhaupt einhalten beziehungsweise sich bei der Entwicklung von Fahrzeugen und Komponenten danach richten zu können ist es erforderlich, die Bedingungen rund um das Entstehen des Reifenabriebs besser zu verstehen. Dr. Gießler:

„Um den Abrieb reduzieren und die neuen Grenzwerte einhalten zu können, müssen wir genauer erforschen, wie Abrieb entsteht und wie sich beispielsweise das Gewicht des Fahrzeugs oder die Reifenart auf die Menge des Abriebs auswirken.“

Weitere zu untersuchende Einflussgrößen sind Fahrverhalten wie Beschleunigen und Bremsen, aber auch Straßenbedingungen wie Temperatur und Nässe oder die Verkehrsbedingungen wie Stau würden bei den umfassenden Tests berücksichtigt.

Mit den Mobilitätsdaten und Fahrprofilen des elektrifizierten Lieferverkehrs wollen die Ingenieure dann „geraffte Betriebsprofile“ für die Abriebtests am Reifenprüfstand festlegen. „Die so gewonnenen Daten verwenden wir für die Entwicklung eines simulationsgestützten Prognosemodells“.

Konkret wird dafür ein Reifenprüfstand mit einem echten Asphaltbelag ausgestattet. Dort laufen dann die Reifen unter verschiedenen Betriebsbedingungen und werden in Bezug auf das Kraftübertragungs- und Abriebverhalten vermessen.

Virtuelle Modelle

Man will aber nicht nur herausfinden, wie stark der Abrieb überhaupt ausfällt sondern zugleich mit den gewonnenen Erkenntnissen in der Lage sein vorherzusagen, ein wie hoher Abrieb unter verschiedenen Bedingungen zukünftig zu erwarten ist. Dazu plant man, auf Basis der realen Prüfstandtests in Kombination mit Simulationen ein virtuelles Reifenmodell zu entwickeln, das die für die Verschleißprognose benötigten großen Datenmengen anhand dieser künstlich erstellten Reifen liefern soll, heißt es weiter:

„Die gewonnenen Daten aus den realen und virtuellen Untersuchungen fließen anschließend in ein Prognosemodell ein: Dieses soll vorhersagen, wie verschiedene Faktoren – die Art des Reifens, die Belastung, das Fahrzeug oder die Fahrweise – den Reifenabrieb beeinflussen“.

So sollen die Fachleute bereits im Vorfeld der Reifen- und Fahrzeugentwicklung in die Lage versetzt werden, bei ihrer Arbeit reifen-, belastungs-, fahrzeug- und fahrweisenbezogene Einflussfaktoren wie Fahrzeuggewicht oder Fahrwerks-Kinematik auf den Abriebentstehungsprozess zu berücksichtigen, so der BMDV in seiner Projektbeschreibung. Dadurch soll es dann möglich sein, die Reifenabriebmenge unter Nutzung von Mobilitätsdaten „anwendungsbezogen und realistisch" zu bestimmen.

Die Ergebnisse des Projekts will man der Öffentlichkeit in Publikationen auf einer frei zugänglichen Plattform zur Verfügung stellen.

Das Projekt Ramus gehört zur Innovationsinitiative mFUND und wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) mit 199.738 Euro gefördert. Das Institut für Fahrzeugsystemtechnik (FAST) des KIT koordiniert die Initiative, die im Dezember 2024 startete und noch bis Mai 2026 läuft. Projektpartner ist das in Kaiserslautern ansässige Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM mit seinem Bereich Mathematik für die Fahrzeugentwicklung (MF).

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