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SVE: Elektro-Hybridbusflotte nutzt Stromüberschüsse aus Neue Weststadt: Ausgereifte Technik

Die Esslinger Oberleitungsbusse gibt es seit 75 Jahren. Wir erhielten Insider-Informationen zu den technischen Besonderheiten der Fahrzeuge und der Infrastruktur.

Der SVE setzt auf den Hybridbus Solaris Trollino Metro Style in Staßenbahn-Anmutung. Bild: M. Schachtner
Der SVE setzt auf den Hybridbus Solaris Trollino Metro Style in Staßenbahn-Anmutung. Bild: M. Schachtner
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Martin Schachtner

Wer mit dem Zug durch Esslingen fährt, der kann dem Stadtquartier Neue Weststadt bei der Entstehung zusehen. Auf einer Fläche von 100.000 Quadratmetern wird ein klimaneutrales urbanes Vorzeigequartier gebaut. Ein wichtiger Anteil der energetischen Nachhaltigkeit soll dem Städtischen Verkehrsbetrieb Esslingen am Neckar (SVE) zukommen. Dessen Elektro-Hybridbusflotte wird die Stromüberschüsse aus den gebäudeintegrierten Fotovoltaikanlagen nutzen, heißt es von Seiten der Projektverantwortlichen. Es ist ein Geben und ein Nehmen: Auch die in den Bussen verbauten Traktionsbatterien leisten einen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes.

Der SVE ist seit 1944 lokal emissionsfrei unterwegs. Mittlerweile gehört die Elektromobilität im Busbereich (wieder) zum guten Ton. Im Unterschied zu ÖPNV-Gesellschaften, die wie in Salzgitter, Wiesbaden oder der VHH aus Hamburg auf batterieelektrische Busse setzen, handelt es sich bei den Esslinger Stromern traditionell um Oberleitungsbusse. Neben Eberswalde und Solingen gibt es aktuell nur noch drei deutsche Verkehrsverbünde, die auf Obusse setzen. Das war lange Zeit anders: In den 1950er-Jahren zapften sich noch zahlreiche Busse in dutzenden ost- und westdeutschen Städten ihre Energie aus den über der Straße gespannten Fahrdrähten.

Hybridisierung

Die Esslinger befördern mit insgesamt 129 Mitarbeitern, davon 91 im Fahrdienst, rund neun Millionen Fahrgäste pro Jahr. Die gesamte Busflotte beläuft sich auf rund 30 Fahrzeuge: Die ältesten Oberleitungsbusse des Modells Van Hool AG300T sind fast 20 Jahre alt. Diese sechs Fahrzeuge werden sukzessive ersetzt, wie Betriebsleiter Harald Boog und Technik-Chef Zoltan Stari beim Betriebsbesuch erklärten. Die ersten vier Elektrohybridbusse vom Typ Solaris Trollino Metro Style sind seit 2016 im Einsatz. Weitere sechs Fahrzeuge sind bestellt und in den kommenden vier Jahren sollen 17 weitere Hybridbusse dazukommen, hieß es. So wird die aktuell 27 Fahrzeuge im Linienbetrieb umfassende Obusflotte vollständig „hybridisiert“ und verfügt neben dem Oberleitungszugang über einen kleinen Zusatzakku, der das Fahren abseits des Fahrdrahts und damit mehr Flexibilität ermöglicht. Darüber hinaus bieten SVE und als Subunternehmen die Albert Rexer GmbH & Co. KG ihre Fahrdienste aktuell mit 17 Dieselbussen an. Dabei handelt es sich um Standard- sowie Gelenkbusse der Marken MAN und Mercedes-Benz (Citaro 0530 hybrid und Citaro 0530G bzw. A21 Lion‘s City sowie A23 Lion‘s CityG).

Die SVE bedient mit den Linien 101 und 118 traditionell zwei klassische Oberleitungsbus-Linien. Seit 2016 gehört auch die teilelektrifizierte Linie 113 dazu. Hier kommen die in Esslingen Hybridbusse genannten Fahrzeuge, die aus Oberleitung und Bremsenergie gewonnenen Strom im integrierten Akku speichern, ins Spiel. In der Automobilindustrie wird Hybridantrieb häufig als Kombination von Elektro- und Verbrennungsmotor verstanden. Der Begriff Hybrid bezeichnet bei der SVE dagegen die unterschiedlichen Bezugsquellen des Stroms (batterieelektrisch kombiniert mit Oberleitung). Die Linie 113 verläuft zu einem Drittel entlang der Oberleitung, zudem wird die Bremsenergie rekuperiert. All das erlaubt die Nutzung kleiner Batterien an Bord des Fahrzeugs, wodurch sich das Fahrzeuggewicht und damit der Mehrverbrauch in Grenzen hält. Bis zu zwölf Kilometer können die Fahrzeuge batterieelektrisch fahren. Die vier verbleibenden Linien werden noch mit Dieselbussen bedient. Zum Jahr 2023 ist der Einsatz von Hybridbussen geplant, hieß es. Das Durchschnittsalter der Flotte beläuft sich aktuell auf 8,5 Jahre. Nach dem Austausch der Van Hool-Busse wird der Wert bald fünf Jahre erreichen. Nicht in diese Rechnung fließen zwei weitere Fahrzeuge ein, die für den Betrieb eines Trolleybus-Angebots notwendig sind: Ein Mercedes-Benz LK (Baureihe 814) mit Pritsche wurde zum Enteisungsfahrzeug umgebaut. Das Fahrzeug stammt aus dem Jahr 1994 und erfüllt eine wichtige Aufgabe: Die Oberleitung muss enteist werden, sonst entstehen Schäden an Fahrzeug, Stromabnehmer bzw. Fahrdraht. Ein weiteres wichtiges Einsatzfahrzeug ist der Turmwagen (Erstzulassung 1992) für Arbeiten an der Oberleitung bzw. als Werkstatteinsatzwagen, falls ein Omnibus auf der Strecke liegen bleibt. Am niedrigen Kilometerstand von 30.000 Kilometern lässt sich ablesen, dass sich die Einsätze des Turmwagens in den vergangenen 25 Jahren in Grenzen hielten. Zum Vergleich: Die Obusse legen pro Jahr eine Strecke von durchschnittlich 60.000 bis 70.000 Kilometern zurück.

Fahrzeuge und Infrastruktur 
im Blick

Die Technikabteilung von Werkstattleiter Zoltan Stari verantwortet neben Wartung und Reparatur der Omnibusse auch die Instandhaltung der Infrastruktur: Das Stadtgebiet umfasst den Angaben zufolge 364 Haltestellen, das Oberleitungsnetz beläuft sich auf rund 30 Kilometer. Neben der Haltstellenbeschilderung und dem Aushängen der Fahrpläne gehört auch eine jährliche Revision der Fahrdrähte zum Aufgabenspektum. Die Oberleitungen sind verhältnismäßig wartungsarm. Schäden an den Fahrdrähten entstünden normalerweise durch Fremdeinwirkung. Das Oberleitungssystem ist nach 30 Jahren abgeschrieben, hält aber deutlich länger, so die Erfahrungen bei der SVE. Bis zu 50 Jahre seien möglich, je nach Nutzung. Lediglich kleinere Verschleißschäden, etwa spröde gewordene Isolatoren, müssen repariert werden.

Gleiches gilt für die Trolleybusse, da die Elektrotechnik langlebiger ist. Ein wesentlicher Vorteil des Obusses im Vergleich zum Dieselbus: Verschleiß und Austausch von Komponenten sind seltener. Zudem waren die Energiekosten im Durchschnitt niedriger. Dadurch kompensieren sich die Nachteile, nämlich eine mangelnde Flexibilität aufgrund des Fahrdrahts, eine kostenintensive Infrastruktur (beim Bau, nicht beim Unterhalt) und der höhere Kaufpreis der Fahrzeuge. Nach Ansicht der SVE versprechen Hybridbusse die Vorteile beider Systeme. Im Gegensatz zu batterieelektrischen Bussen fallen darüber hinaus bei Produktion und Entsorgung der kleineren Obus-Akkus weniger Energie und Ressourcen an. Die Akkus der Solaris-Flotte umfassen derzeit 46 Kilowattstunden, für den Ausbau der Elektromobilität in Esslingen planen Harald Boog und sein Team mit Speichern mit einer Kapazität von 60 Kilowattstunden. Den größten Verschleiß in der Obus-Technik registrieren die Techniker an der sogenannten Schleifkohle, die den Stromabnehmer des Busses mit dem Fahrdraht verbindet. Die Schleifkohle wird bei der SVE in kurzen Zeitabständen kontrolliert, gleiches gilt für den Gleitschuh. Das sogenannte Andrahten, also das Hochfahren des Stromabnehmers erfolgt bei den Hybridbussen automatisch auf Knopfdruck. Bei den Van Hool-Oberleitungsbussen müssen die Fahrer die Verbindung noch händisch erledigen. Hybridbus-Fahrer drahten ab, wenn die Oberleitung endet – beginnt der Fahrdraht wieder, so müssen die Obusse positionsgenau anfahren, um (mittels der Hilfskonstruktion „Trichter“) automatisiert aufzudrahten.

Serviceverträge

Bei der Werkstatt hinter dem Verwaltungsgebäude handelt es sich um gemeinschaftlich genutzte Räumlichkeiten mit dem Städtischen Baubetrieb Esslingen (SBE). Eine imaginäre Linie in der Mitte trennt die vom SBE gewarteten Streu- und Kehrfahrzeuge von den Bussen. Die Arbeitsbahnen und -gruben sind zur Durchfahrt und verfügen über Fahrdraht, für den es oberhalb der Werkstatttore kleine Öffnungen gibt. Auch die Waschanlage ist verdrahtet, die Dachbürsten nehmen Rücksicht auf den Stromabnehmer.

Die elf Techniker in der SVE-Werkstatt können im Prinzip alle Arbeiten selbst machen. Lediglich bei größeren Karosseriearbeiten setzt das Unternehmen auf die Vetter Karosserie- und Fahrzeugbau GmbH, da die SVE keine Lackierstraße hat. In diesem Fall schleppt der Turmwagen die verunfallten Obusse in die Partnerwerkstatt. Bei den Dieselbussen gibt es teils Serviceverträge mit den Herstellern. In der Praxis heißt das, die Werkstatt überlegt sich – in Abhängigkeit von der Auslastung bzw. dem Platzbedarf – ob die Arbeiten selbst ausgeführt und dem Hersteller in Rechnung gestellt werden. Die zweite Möglichkeit: Das Fahrzeug wird in eine Vertragswerkstatt verbracht und repariert oder – als dritte Variante – Mercedes-Benz-Techniker kommen auf den Betriebshof der SVE. Ein ähnliches Szenario bei den Solaris-Bussen: Der polnische Hersteller hat mit dem Karosseriebetrieb Vetter einen Servicepartner in der Nähe, Das ist sinnvoll für Garantie- und Kulanzarbeiten oder bei Auftrags- und Auslastungsspitzen in Esslingen.

Tradition und Fortschritt

Eine der Besonderheiten der Obus-Technik ist das Aus- und Weiterbildungslevel. So muss ein bestimmter Anteil der Mechatroniker Hochvoltqualifikation vorweisen. Insgesamt ist also mehr elektrisches und elektronisches Know-how in der Werkstatt notwendig, als bei einem reinen Dieselbus-Betrieb.

Bei der SVE gönnt man sich auch ein historisches Fahrzeug. Der Obus 22 des Herstellers Henschel (Baujahr 1962) wurde vor Kurzem wieder auf die Räder gestellt. Die Restaurierung begann 2014, pünktlich zur 75-Jahr-Feier 
war der Oldtimer fahrbereit. In über 4.000 freiwilligen Arbeitsstunden setzten SVE mit Unterstützung der Stuttgarter Historische Straßenbahnen e.V. (SHB) Bremsen und Achsen instand, erneuerten das Luftdrucksystem, tauschten Kabel aus und kümmerten sich um den Unterboden. Nach der Zulassung sollen in Kooperation mit dem SHB historische Fahrten angeboten werden. Problematisch allerdings: Es gibt nicht mehr viele Fahrer, die dieses Fahrzeug fahren können. Beim Henschel HS 160 OSL sind u.a. Gas- und Bremspedal vertauscht. Zudem ist eine Widerstandschaltung verbaut. Auch mit dieser Technik ist eigentlich nur noch Zoltan Stari vertraut. Der Kfz-Meister arbeitet schließlich seit 1985 beim SVE.Martin Schachtner

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Artikel SVE: Elektro-Hybridbusflotte nutzt Stromüberschüsse aus Neue Weststadt: Ausgereifte Technik
Seite 10 bis 15 | Rubrik WERKSTATT-PORTRÄT
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