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Chaotische Lagerhaltung

PROFI Werkstatt war exklusiv zu Besuch im Zentrallager des Teilehändlers Europart in Werl: Über 80 Prozent der gehandelten Waren kommen von dort. Was passiert hinter den Kulissen, damit die Werkstätten zur rechten Zeit die benötigten Ersatzteile bekommen?

Wie in Manhattan: Lange Wege führen durch die Palettenlager im Europart-Zentrallager. | Fotos: T. Pietsch
Wie in Manhattan: Lange Wege führen durch die Palettenlager im Europart-Zentrallager. | Fotos: T. Pietsch
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Thomas Pietsch

Die mit Abstand wichtigste Information, die es für Matthias van Leeuwen gibt, ist, welche Produkte der Nutzfahrzeug-Ersatzmarkt aktuell wirklich nachfragt. Van Leeuwen ist bei Europart Geschäftsführer für das Supply Chain Management und somit verantwortlich für die Logistikprozesse im Zentrallager des Hagener Nutzfahrzeugteilehändlers, welches in einem Industriegebiet in Werl, westlich von Dortmund, steht. Aktuell lagern dort etwas mehr als 60.000 Artikel auf  rund 100.000 Stellplätzen im Paletten- und kleinteiligen Fachbodenlager. „Wir haben hier in Werl unseren Bestand massiv ausgedünnt und sind permanent dabei, das Warensortiment zu optimieren“, erklärt van Leeuwen. Zum einen verschwinden Fahrzeuge vom Markt, für die man dann keine Ersatzteile mehr vorhalten muss, und zum anderen hat das natürlich betriebswirtschaftliche Gründe: Stichwort Kapitalbindung.

Denn eines ist sicher: Die Zeiten der ganz großen Sortimente sind vorbei. Heute fragt sich ein großes Handelshaus wie Europart vielmehr, ob ein Zentrallager Sinn macht oder ob mehrere regionale Lager mit länderspezifischen Sortimenten wirtschaftlicher wären. Für das Zentrallager spricht aktuell noch, dass die Transportkosten so niedrig sind.

Gähnende Leere vorm Mittag
Bei unserem Besuch erreichen wir das 98.000 Quadratmeter große Europart-Lager am späten Vormittag. Was wir sehen ist: Gähnende Leere an den 88 Verladetoren rund um das Gebäude. Vereinzelt steht ein Lkw oder Transporter an der Rampe. Van Leeuwen klärt auf: „Wir sind zwar von 6:00 bis 22:00 Uhr besetzt, aber die erste Rush Hour ist um 10:30 Uhr bereits vorbei.“ Täglich liefern rund 40 bis 50 Lkw Ware an. Das ­passiert aber in der Regel frühmorgens. Danach ist Flaute, bis sukzessive die Bestellungen des ­Tages eingehen, die dann von bis zu 200 Lkw in über 300 Verkaufshäusern über ganz Europa verteilt werden.

Alle Bestellungen, die bis 18:00 Uhr eingehen, gehen noch am selben Tag raus. Diese sind dann in der Regel am nächsten Tag in der Europart-Filiale, die die Bestellung entweder einlagert oder direkt an die Kunden verteilt. Rund 80 Prozent der Bestellungen werden erst am nächsten Tag oder später benötigt. „Darauf ist alles ausgelegt. 20 Prozent der Bestellungen sind eilig, also same day. Die werden dann entweder per Kurier versendet oder per Overnight-Express mit garantierter Zustelluhrzeit“, führt van Leeuwen aus.

Wo ist das Teil verfügbar?
Die Nutzfahrzeugwerkstätten können, sofern sie an das Europart-Bestellsystem angeschlossen sind, ein Ersatzteil direkt bestellen. Außerdem sehen sie, ob und wo das Teil verfügbar ist. Das kann dann auch mal bei einem Hersteller im Zentrallager liegen, wenn es sich entweder um ein seltenes oder sperriges Teil handelt. Denn die Aufgabe der Europart-Logistiker ist es, auch selten nachgefragte Teile dem Kunden zur Verfügung zu stellen. Dafür bedarf es eines koordinierten Supply Chain Managements. Immerhin gelangen knapp 20 Prozent der Bestellungen im Europart-System direkt vom Hersteller zum Empfänger. „Über das Zentrallager managen wir alles, was wir selbst gut handeln können. Alles, was sperrig ist oder schwierig in der Handhabung, wird direkt vom Hersteller versendet“, sagt van Leeuwen. Logisch, dass dafür die IT-Systeme zwischen dem Handelshaus aus Hagen und den Ersatzteillieferanten ganz eng verzahnt sein müssen.

Für einen reibungslosen Transport sorgen etwa 100 verschiedene Logistikdienstleister, die von Werl aus koordiniert werden. Die Optimierung der Transportlogistik sieht der Logistikmanager als eine der Kernkompetenzen seiner Abteilung an, die man auch nicht durch sogenannte Logistikberater einkaufen könne. Je nach Region und Land, das man beliefert, werden Speditionsunternehmen mit ganz bestimmten Stärken eingekauft oder über Ausschreibungen ermittelt. Es gibt zum Beispiel einen Dienstleister, der übernimmt die gesamte Ruhrpott-Logistik direkt von Werl aus. Nach Skandinavien fährt ein Unternehmen nur mit Ganzladungen und bedient dort aber nur drei Abladestellen. Für die Feinverteilung werden andere Speditionen eingesetzt. Das Beispiel ist deshalb so besonders, weil die Tour nach Skandinavien mit einer Zwei-Mann-Besatzung durchgeführt wird. Nur so könne man sicherstellen, dass der Lkw am nächsten Morgen zwischen 6:00 und 8:00 Uhr früh seine Ziele erreicht. „So etwas wäre schwer zu realisieren, wenn man für die Transportlogistik nur auf wenige, große Dienstleister setzt“, meint van Leeuwen.
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Das Reich der Hochregale
Doch begeben wir uns jetzt einmal ins Innere des Zentrallagers. Nachdem man die äußeren Zonen hinter den Verladetoren passiert hat, wo Wareneingang und -ausgang stattfinden, betritt man das Reich der Hochregale. Schier nicht enden wollende Gänge mit Regalen, so hoch wie vier Stockwerke. Man fühlt sich ein bisschen wie in Manhattan. 80 Gabelstapler, davon 30 Kommissionierstapler, helfen den Lagerarbeitern, die Bestellungen zusammenzustellen. Und natürlich das allwissende Lager-Management-System, kurz LMS. Ohne die Software wäre man in diesem ­Chaos verloren.

Wieso Chaos? Weil die Lagerhaltung nicht ausschließlich nach Sinneinheiten oder Themen geordnet ist, sondern chaotisch. Vereinfacht gesagt: Einlagerungen finden dort statt, wo Platz ist. Und nur das LMS weiß, in welcher Regalreihe, auf welcher Ebene und an welchem Platz etwas liegt. Täglich werden bis zu 15.000 Positionen bedient. Eine Position bezeichnet eine Entnahmestelle an einem Lagerort.

Fehlerquote von 0,25 Prozent
Und das klappt? „Aber sicher. Unsere Fehlerquote liegt bei sehr guten 0,25 Prozent“, antwortet van Leeuwen. Die Kommissionierung in den Palettenregalen erfolgt halbautomatisch. Das bedeutet in diesem Fall, dass auf dem Display des Kommissionierstaplers die Liste einer Bestellung erscheint. Der Lagermitarbeiter fährt selbstständig zur angezeigten Regalreihe. Ab dann loggt sich das Fahrzeug in eine im Boden eingelassene Induktionsschleife ein und fährt vollkommen autonom zur passenden Stelle im Regal. Der Lagermitarbeiter ist anschließend für die Entnahme zuständig, die er mit verschiedenen Scans auf dem Regal und der Verpackung bestätigt und die Ware in die Holzkiste oder den Karton vor sich ablegt. Dann geht es weiter zur nächsten Entnahmeposition.

Um bei der eigentlichen Kommissionierung Zeit zu sparen, werden besonders schwere Ersatzteile vor der Einlagerung umgepackt. Zum Beispiel werden 70 Kilogramm schwere Reparaturkits vereinzelt und auf Paletten abgelegt, sodass sie von einem Mitarbeiter alleine mit dem Stapler entnommen werden können. Und auch die Einteilung der Regale ist der Schnelligkeit untergeordnet. Nahe zum Warenausgang lagern die Teilearten, die häufig nachgefragt werden.

1,5 Kilometer Förderstrecke
Im Bereich der Kleinteile, also dem Fachbodenlager, übernehmen nicht Gabelstapler den Transport, sondern ein Förderband. Rund 1,5 Kilometer sind davon insgesamt im Europart-Zentrallager verbaut worden. Die Kommissionierbehälter sind blaue Kunststoffboxen; Die Mitarbeiter laufen mit sogenannten Handheld-Scannern und kleinen Rollwagen durch die Regale und sammeln die bestellten Teile zusammen. Die blauen Boxen werden über das Förderband automatisch zum Verladebereich transportiert, wenn alle Teile der Bestellung richtig gescannt wurden. Dort werden die Teile dann mit den Orders aus dem Palettenlager zusammengeführt und die Bestellung ist komplett.

Jetzt brauchen die Teile nur noch den richtigen Lkw hinter dem richtigen Verladetor zu finden und auf geht die Reise.Thomas Pietsch

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Artikel Chaotische Lagerhaltung
Seite | Rubrik Nfz-Teilehandel
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